Brot gehört in Russland, wohin uns die kulinarische Weltreise im Monat März führt, zu den Grundnahrungsmitteln. Eine Übersicht einiger Sorten habe ich bei Russia Beyond gefunden. Mir fiel die besondere Form des Moskauer Kalatsch (Московский калач) auf und ich habe etwas weiter recherchiert.
Beim Kalatsch handelt es sich tatsächlich um die älteste Weißbrotsorte Russlands, traditionell aß man ein schwarzes Roggenbrot.
Die Moskauer Brötchen erlangten im 19. Jahrhundert dank des Bäckers Ivan Maksimovich Filippov (1824-1878) besondere Popularität. Dem Sohn eines ehemaligen Leibeigenen wurde der Titel eines Lieferanten des Hofes Seiner kaiserlichen Majestät verliehen. Laut eigener Aussage bestand das Erfolgsgeheimnis des Gebäcks aus drei Komponenten: Wasser aus dem Moskauer Fluss, seinen Bäckern und Ivan Maksimovich Filippov selbst. Als seine erste Bäckerei in St. Petersburg eröffnet wurde, wurde deshalb Wasser für Teig in Eichenwannen aus Moskau gebracht. Und Transporte mit „Filippovs“ Brot gingen sogar nach Sibirien und Paris: Dort wurden die gefrorenen Brötchen nach der langen Reise auf besondere Weise (auf einem heißen Handtuch) aufgetaut und als frisch gebacken verkauft. Ein spezielles Teigrezept ließ die Brötchen sehr lange frisch bleiben (Quelle).
Die großen Brötchen haben Ähnlichkeit mit einem Vorhängeschloss: auf einer Seite liegt ein dicker „Bauch“ (also das eigentliche Schloss) mit eingeschnittenen „Lippen“, auf der anderen Seite der dünne Griff (entsprechend dem Bügel). Die Brötchen vereinen am gleichen Stück festere und weichere Teile, ähnlich wie eine schwäbische Bretzel mit ihren dünnen, knusprigen Ärmchen und dem dicken, weicheren Bauch.
Das Backen erforderte handwerkliches Können und nahm relativ viel Zeit in Anspruch, da der Teig erst warm und anschließend noch im Kalten gehen musste. Im vorrevolutionären Russland wurde in der warmen Jahreszeit der Teig für die Brötchen in speziell ausgerüstete Eiskeller gebracht. Verkauft wurden die Brötchen als eine Art „Street Food“: die Stadtbewohner, oft Arbeiter, aßen sie direkt unterwegs und hielten sie dabei am dünnen Griff fest, der dabei oft schmutzig wurde. Deshalb wurde der dünne Teil aus hygienischen Gründen nicht zum Essen verwendet – er wurde weggeworfen, Bettlern oder Hunden gegeben. Im Russischen entstand daraus der Ausdruck „den Griff erreichen“, was soviel bedeutet wie „die menschliche Form verlieren, tief fallen, vollständig sinken“.
Ich habe mich beim Backen an diesem sehr guten Video orientiert (russisch, es lassen sich aber Untertitel einblenden und diese automatisch in Deutsch übersetzen). Fotos von den einzelnen Herstellungsschritten sieht man hier.
Der relativ weiche Teig wird von Hand hergestellt, durch diverse Dehn- und Falt-Zyklen (zuerst etwa 3 Stunden bei 24-26°C für und dann 2 1/2 Stunden im Kühlschrank bei etwa 4°C) muss er aber kaum geknetet werden und lässt sich dennoch am Ende sehr gut weiterverarbeiten.
Nach dem Teilen des Teiges in 4 Stücke, Rundwirken und Entspannen formt man kurze Zylinder vor (wie für Baguettes) und rollt diese dann an den beiden Enden dünner aus.
Die Enden werden zusammengeführt, aneinandergedrückt und durch Hin- und Herrollen verschlossen. Nun gehen die Teiglinge noch einmal 30-40 Minuten, bevor man sie am dicken Bauch einschneidet. Das Prozedere hierfür habe ich im Rezept unten ausführlich beschrieben.
Gebacken wir bei sehr hoher Temperatur: üblich sind Temperaturen von 270-300°C, die Backzeit beträgt dann angeblich 10-15 Minuten.
Ich habe bei meinem ersten Versuch die Brötchen bei 275°C eingeschoben und die Temperatur dann auf 220°C gesenkt, würde beim nächsten Mal aber nur auf 240°C gehen.
Die Anforderungen für dieses Backwerk waren übrigens genau definiert (Quelle), u. a hieß es: Die Oberfläche ist leicht mehlig, ohne Risse oder Brüche. An der Inzisionsstelle sollte das Mehl sehr ausgeprägt sein. Die Farbe der Kruste ist rosa-golden, zeigt sich gleichmäßig durch das Mehl, Schwellungen, übermäßige Blässe und Flecken sind nicht erlaubt. Die Dicke der oberen Kruste beträgt nicht mehr als 1,5 mm, die untere nicht mehr als 2 mm. Die größte Abmessung der größten Poren im Abschnitt beträgt nicht mehr als 30 mm. Die Krume ist gut gebacken, sehr elastisch (gummiartig). Die hohe Elastizität der Krume ist das Hauptmerkmal dieser Art von Produkt und der wichtigste Indikator für ihre Qualität. Der Geschmack ist angenehm, nicht sauer, nicht salzig. Der Kalach sollte einen „milchigen“ Geruch haben, der spezifisch für Moskauer Kalach ist. Der Feuchtigkeitsgehalt der Krume ist nicht höher als 46%.
Im Kalach-Museum in Kolomna bekommt man heute noch vorgeführt, wie die Brote gebacken werden, anschließend kann man sie mit etwas Butter und Tee probieren. Neben dem Moskauer Kalatsch gibt es noch ein Muromer Kalatsch (Muromski kalatsch, Муромский калач) mit ähnlichem Aussehen, die Herstellungsweise ist aber eine andere.
========== | REZKONV-Rezept – RezkonvSuite v1.4 |
Titel: | Kalach Moskovsky – Moskauer Kalatsch |
Kategorien: | Brot, Brötchen, Russland |
Menge: | 4 Kleine Brote; Teiggewicht/Stück 192 g |
Zutaten
450 | Gramm | Backstarkes Weizenmehl* (P: Weizenmehl Type 550) | |
316 | Gramm | Wasser | |
8 | Gramm | Salz | |
5 | Gramm | Frischhefe** | |
Mehl; zum Formen | |||
Öl; für die Schüssel |
Quelle
umgesetzt nach einem russischen Video | |
von Masha und Alena für die TV-Sendung Honest Bread |
Erfasst *RK* 08.03.2021 von | |
Petra Holzapfel |
Zubereitung
Die Herstellung dauert etwa 7 Stunden.
Das Mehl in eine Schüssel geben und mit dem Salz vermischen. Die Hefe im Wasser auflösen. Das Hefewasser zum Mehl geben und alles mit den Händen vermischen. Es soll nur so lange geknetet werden, bis keine trockenen Stellen mehr im Mehl sind. Der Teig ist jetzt etwas klebrig, locker, uneben und nicht glatt. Den Teig in eine saubere, leicht gölte Schüssel legen und abgedeckt bei Raumtemperatur (idealerweise 24-26°C, P: 24°C) 3 Stunden gehen lassen, dabei nach jeweils 60 Minuten 3 mal dehnen und falten. Dafür mit den feuchten Fingern beider Hände den Teig am Rand hochziehen, etwas auseinanderziehen und über den Teig bis auf die andere Schüsselseite dehnen und ablegen. Die Schüssel um 180° drehen und das Dehnen wiederholen, dann um 90° drehen und schließlich nochmal um 180°. Den Teig in der Schüssel umdrehen und abgedeckt weiter gehen lassen.
Nach 3 Stunden bei Raumtemperatur hat sich der Teig stark verändert: er nimmt nicht nur merklich an Volumen zu, sondern wird auch poröser und luftiger. Wenn der Teig gedehnt wird, dehnt er sich perfekt und reißt nicht.
Nach dem letzten Falten die Schüssel für etwa 2 1/2 Stunden in den Kühlschrank stellen, nach 50 und 100 Minuten noch einmal dehnen und falten. Jetzt sollte der Teig nicht mehr kleben, fest und elastisch sein.
Den Backofen mit einem Backstein auf 275°C vorheizen.
Den Teig auf die leicht bemehlte Arbeitsfläche geben und in 4 Stücke à 192 g teilen. Jedes Stück grob rund formen und dann zu einem Ball abdrehen. 10 Minuten abgedeckt entspannen lassen.
Einen Ball zu einem Rechteck flach auseinanderdrücken, dann wie für ein Baguette vorformen: die obere Längsseite zur Mitte hin einschlagen und fest andrücken, den Teigling um 180° drehen und die andere Längsseite zur Mitte hin einschlagen und festdrücken, dann die obere Kante auf die untere legen und mit dem Handballen die Naht versiegeln).
Nun den Teigling mit beiden Händen nur an den beiden Enden ausrollen, so dass in der Mitte ein dicker Bauch stehen bleibt. Die Enden zusammenführen und leicht überlappend festdrücken, dann den Teigling mit einer Hand am Bauch hochhalten und die Überlappungsstelle mit der anderen Hand 2-3 mal vor- und zurückrollen, damit sich der Teig gut verbindet. Das Gebilde soll jetzt in etwa wie ein Vorhängeschloss aussehen.
Den Teigling mit dem „Griff“ nach zur Mitte auf eine Ecke eine Backpapiers setzen und die restlichen Teiglinge genauso verarbeiten. Die Teiglinge mit Mehl bestäuben und zugedeckt nochmal 30-40 Minuten (P: 25 Minuten) bei Raumtemperatur aufgehen lassen, sie dürfen aber keine Vollgare haben.
Zum Abschluss die Teiglinge einschneiden: dafür ein großes Sägemesser verwenden und den Bauch mit zwei Schnitten tief einschneiden. Dazu gleich beim ersten Schnitt die obere Teigschicht mit einer Hand festhalten, anheben und beim Schneiden etwas wegklappen, den entstehenden Schnitt sehr großzügig mit Mehl bestäuben und einreiben, damit er sich beim Backen weit öffnet. Die Öffnung der Kalatsch durch Dehnen des Griffs nochmal etwas vergrößern.
Die Teiglinge mit viel Dampf in den vorgeheizten Backofen einschießen und etwa 10-15 Minuten** backen, bis sie schön aufgegangen und goldbraun sind. Die Brote vom Blech nehmen und auf einem Rost auskühlen lassen.
Anmerkung Petra: Die Moskauer Brötchen sind ein wundervolles Gebäck mit einer zarten, etwas grobporigen Krume und sehr knuspriger Kruste.
Sehr ausführliches Video unter https://youtu.be/wYDyj-1wc_U Man kann sich die Untertitel automatisch in Deutsch übersetzen lassen.
*laut Materialien aus der Zeitschrift „Soviet Milling and Bakery“ ist eine Zugabe von 20-25% Hartweizenmehl wünschenswert. Rezeptur danach:
:85 kg Weizenmehl höchster Qualität; zum Kneten
:15-20 kg Weizenmehl höchster Qualität; zum Bearbeiten (beim Kneten und Schneiden des Teigs hinzufügen)
:1,2-1,4 kg Salz
:0,5-0,8 kg Hefe
:53-60 kg Wasser (62-70%)
**ich habe beim ersten Versuch die Temperatur nach dem Einschießen auf 220°C gesenkt und die Brote etwa 17 Minuten gebacken. Beim nächsten Mal die höhere Temperatur testen!
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Die Rezepte der Mitreisenden (wird im Lauf des Monats ergänzt):
Conny von food for the soul mit Soljanka mit Fleisch nach Russischem Rezept
Cornelia von SilverTravellers mit Soljanka – mehr als eine Restesuppe
Marion von LSLB-Magazin mit Kalte Suppe – Russische Okroschka mit Kaviar
Sylvia von Brotwein mit Boeuf Stroganoff – Rezept für russischen Klassiker
Edyta von mein-dolcevita mit Russischer Schichtsalat Schuba ohne Hering
Kathrina von Küchentraum & Purzelbaum mit Oreschki mit Dulce de leche
Susanne von magentratzerl mit Schschti
Tina von Küchenmomente mit Watruschki – Russisches Quarkgebäck
Wilma von Pane-Bistecca mit Russisches Pilz Kaviar
Cornelia von SilverTravellers mit Schaschlik im Ofen mit köstlicher Soße
Petra aka Cascabel von Chili und Ciabatta mit Syrniki – russische Quarkküchlein aus selbst gemachtem Tworog
Anja von GoOnTravel.de mit Pelmeni Rezept – Russische Teigtaschen zum Nachkochen
poupou von poupous geheimes laboratorium mit Mimosa Salat
Petra aka Cascabel von Chili und Ciabatta mit Hack-Schnitzel mit Pilz-Käse-Füllung
Petra aka Cascabel von Chili und Ciabatta mit Russischer Salat Vinaigrette
Wilma von Pane-Bistecca mit Russisches Auberginen und Tomaten Kaviar
Gabi von Slowcooker.de mit Pilz- und Hack-Pierogi
Sebastian von Brittas Kochbuch mit борщ/Borschtsch (Gastbeitrag v. Sebastian Reichelt)
Britta von Brittas Kochbuch mit бефстроганов/Bœuf Stroganoff
Susanne von magentratzerl mit Buchweizenrisotto mit Pilzen
Wilma von Pane-Bistecca mit Russische Pelmeni
Tina von Küchenmomente mit Russische Kirschtorte Monastirskaya Izba
Susanne von magentratzerl mit Borodinski-Brot
Volker von volkermampft mit Russische Piroschki mit Weißkohl und Hackfleisch oder vegetarischer Füllung
Dirk von low-n-slow mit Barsch-Soljanka
Simone von zimtkringel mit Kwas
Marion von LSLB-Magazin mit Süßes aus Russland – Oladji
Sonja von fluffig & hart mit Okroschka – kalte Suppe
Michael von SalzigSüssLecker mit Oladji
Susanne von magentratzerl mit Kartoffelküchlein mit Sauerkraut und Dill-Sauerrahm
Sonja von fluffig & hart mit Kulitsch
Susi von Turbohausfrau mit Salat Olivier
Wow. In jeder Hinsicht. Mal schauen ob ich die haushaltseigene Brotbackbeauftragte dazu überreden kann, diese russische Weissbretzel anzufertigen.
Ich finde, es lohnt sich 🙂
Brot mit Henkel! So etwas habe ich ja noch nie gesehen. Danke fürs Zeigen.
Ja, die Form hat mich gleich fasziniert!
Wie köstlich sieht dieses Gebäck aus. Und was für eine ausführliche Anleitung, sogar mit einem Video. Das kann nichts schief gehen. Toll 🙂
Bitte, gerne geschehen 🙂
Das ist ja eine faszinierende Form – eine Handtasche zum Essen :-).
Es gibt noch den Leningrader Kalatsch, Ленинградский калач, der sieht noch mehr nach Handtasche aus 🙂 Den will ich auch noch backen.
https://1000.menu/cooking/12134-kalach-v-duxovke
Was für eine hübsche Brötchenform, mit Griff zum leichteren Essen oder festhalten
Wie oben beschrieben, hatte der Griff ja durchaus einen hygienischen Grund.
Sehr cool! Tolle Form und mal etwas ganz anderes. Das kommt direkt auf die Nachbackliste!
Liebe Grüße
Tina
Ich bin gespannt, wier du es findest!
Wie toll .. mich haben die schon auf Instagram begeistert… Ich Frage mich, ob man das mildsaure nicht super in einer Sauerteig Variante hinbekommt…
Das merke ich mir auf jedenfall und vielleicht schaffe ich es ja noch zur Weltreise.
Gruß Volker
Machen kann man natürlich viel, aussehen wird es wie ein Kalatsch. Ich bezweifle aber, ob ein Sauerteig die eigentlich gewünschte Charakteristik dieses Brotes trifft. Da heißt es ja explizit „ Der Geschmack ist angenehm, nicht sauer, nicht salzig. Der Kalach sollte einen „milchigen“ Geruch haben, der spezifisch für Moskauer Kalach ist. “
Ja, ich habe mild sauer gelesen ? wollte ich vermutlich so lesen.
Dann passt das wohl eher nicht so…
Gruß Volker
Die habe ich schon auf Instagram bestaunt und ich finde die Geschichte dahinter so interessant!
LG Wilma
Ja, die hat mich auch fasziniert 🙂
Das gefällt mir so gut an der Kulinarischen Weltreise. Man lernt so viel über Kultur und Entstehung der einzelnen Rezepte. Deine Geschichte ist auch wieder besonders interessant für mich gewesen.
Genau so geht es mir auch. Reisen erweitert den Horizont wirklich, auch wenn es nur kulinarisch ist!
Ui, das sieht ja toll aus. Hat ein bisschen Ähnlichkeit mit einem Baguette in Handtaschenform. Gefällt mir sehr gut.
Ja, das hat tatsächlich etwas von einem Baguette. Es gab auch Spekulationen, das Baguette hätte sich aus diesem Brot entwickelt, das es ja bis nach Paris geschafft hatte.
Irgendwie sehen die Dinger aus wie kleine Handtaschen 😀 Allerliebst … wenn sie dann noch gut schmecken, ist das wirklich super!
Das Brot schmeckt wirklich gut, das backe ich sicher wieder einmal!
Interessante Geschichte und sehr schöne Brote!
Lieben Gruß Sylvia
Gottfried Benn, 1948, in einem Theaterstück „Drei alte Männer“: Ein Winterphantasie St. Petersbur:.
…“Sie kommen an, vor dem Palast lodern díe Freuer, die Gorodowois werfen immer neue Baumklötze in die Glut – die Zarin um strahlenden Kokoschnik, die Brillanten von den Perlohrringen rieseln über die Atlasrobe bis zu den Fußspitzen – Tuberosendüfte und der Kaviar, wie man ihn essen soll: auf einem warmen Kalatsch, einer Semmel mit einem Henkel wie ein Körbchen …“
Danke für den literarischen Einblick – es fehlt also eindeutig der Kaviar 😉